Bisher ungeklärt: Die Spezies Einkaufswagen in der Nordstadt

Internationale Forscher suchen nach Spuren und Hinweisen. Mehrere Wissenschaftlerinnen aller Fakultäten besprechen sich auf Fachforen und Konferenzen. Bisher erstellte Studien enthalten zumeist nur vage Vermutungen. Die Wissenschaft steht vor einem der größten Rätsel: Das Leben und die Bewegung der Einkaufswagen in der Dortmunder Nordstadt steht weiterhin im Fokus der Forschung.

“Wir erahnen aus der aktuellen Forschung nur, dass es eine durchaus ambivalente Beziehung dieser Spezies zu den Menschen gibt”, raunt eine renommierte Wissenschaftlerin hinter vorgehaltener Hand. “Gleichzeitig merken wir etwa an den Menschen, dass sie darüber nicht sprechen möchten."

Aufmerksame Beobachterinnen haben begonnen, die Wege dieser Spezies zu folgen, um ihnen auf die Spuren zu kommen. Gestern noch an der Nordstraße, heute am Borsigplatz, morgen schon an der Mallinckrodtstraße. Dass es sich um eine robuste Spezies handelt, könnten Expertinnen schon versichern. Das drahtige Gestell macht einiges mit, erträgt auch große Lasten. Lediglich die kleinen Rollen sind zuweilen sensibler als gedacht.

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Obgleich von außen keine wesentlichen Geschlechtsmerkmale aufzufinden sind, vermuten die Forscherinnen dennoch eine Möglichkeit der Fortpflanzung. “Es fällt schon auf, dass immer wieder mal zwei Einkaufswagen zusammenstehen", bemerkt eine Forscherin. Weitere Hinweise auf eine aktive Fortpflanzung wurden trotz intensiver Forschungen auch in der Forensik bisher nicht gefunden.

Es gibt nach den Hinweisen der Forscherinnen durchaus Baby-Einkaufswagen. Gleichwohl sei auch zu beobachten, dass diese sich nicht annähernd durch die Nordstadt bewegen würden, wie die ausgewachsenen Exemplare. Die Schätzungen zum möglichen Lebensalter liegen unter den Expertinnen ohnehin weit auseinander. Während einige vermuten, dass es sich nur um sogenannte “Einjährige” handelt, schätzen wiederum andere durchaus eine Lebenserwartung von bis zu zehn Jahren.

Die Kumulation der Einkaufswagen in der Dortmunder Nordstadt hat die Wissenschaftlerinnen vieler Fakultäten bewogen, dieses Gebiet  als einen Forschungsschwerpunkt zu benennen. “Wir wissen ziemlich sicher, dass sich diese Spezies eher zu städtischen Strukturen hingezogen fühlt”, ist sich eine Expertin sicher. Vergleichende Studien hätten eindeutig belegen können, dass es in ländlichen Gebieten keine vergleichbare Häufung der Spezies gebe.

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Besonders Geographen interessiert die unerklärliche Bewegung der Einkaufswagen besonders in der Nordstadt. “Wir haben bisher auf ein elektronisches Tracking verzichtet”, so ein Experte, der nicht genannt werden möchte. Man sei sich ob der Aggressivität der Einkaufswagen bisher nicht sicher.

Dass es durchaus schwere Kämpfe zwischen rivalisierenden Einkaufswagen geben kann, da sind sich alle Forscherinnen einig. Die Spuren, insbesondere Verletzungen, seien dafür viel zu eindeutig. Zuweilen, so die weiteren Vermutungen, gelinge ihnen dennoch ein durchaus längeres Leben. Eine Erklärung dafür können die Expertinnen bisher nicht liefern. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es etwa Menschen gebe, die heimlich Hilfe mit einer Reparatur leisten würden.

Die seltsame Beziehung zwischen den Menschen und den Einkaufswagen in der Nordstadt zeige sich auch daran, dass sie dem eigentlichen Hort ihrer Verwendung, den Supermärkten, nahezu entfliehen. “Wir ahnen, dass sie angekettet am Supermarkt Qualen erleiden”, heißt es in einer Studie. Forscherinnen, die sich mit empfindlichen Mikrofonen an die Einkaufswagen gewagt hatten, konnten jedoch keine Schmerzlaute feststellen.

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Soziologen rätseln gleichzeitig darüber, dass es bisher keine gesamtgesellschaftliche Bewegung gibt, die sich dem Leben und Werden dieser Spezies Einkaufswagen widmet. “Während allerorten immer wieder in allen Facetten der Freiheitsbegriff diskutiert wird, bleibt die Freiheit der Einkaufswagen weiterhin im Schatten”, heißt es in einer wissenschaftlichen Studie. Oder: “Das Interesse für die speziellen Insekten, die in Gullis leben, erfährt wesentlich mehr Aufmerksamkeit."

Erste Politikerinnen der Dortmunder Nordstadt sind nach eigenen Aussagen dennoch auf der Hut. “Es kann zu schwierigen Diskussionen führen, wenn gesellschaftliche Gruppen irgendwann noch mehr Freiheit für die Einkaufswagen fordern”, ist sich eine Politikerin sehr sicher. Man habe das Thema auf dem Radar.

Schwierig sei dies schon deshalb, weil insbesondere im Grundgesetz der Einkaufswagen mit keiner einzigen Zeile vorkomme. “Wir erleben hier ein Novum”, sagt eine Politikwissenschaftlerin. Obgleich es eine bestätigte Ko-Existenz mehrerer Kreaturen mit den Einkaufswagen gebe, sei diese im Gesetz nicht vorgesehen. “Dafür eine Zweidrittel-Mehrheit zu erlangen, erfordere mehrere Jahre.

ew6Die weitere Herausforderung sei überdies, dass aktuell niemand wisse, wie sich der Einkaufswagen evolutionär entwickeln werde. Es sei angesichts der allgemeinen technischen Entwicklung nicht sicher, dass künftig eine Automation erfolge. Man habe schon in der Evolution der Menschheit erlebt, was Bewegung bedeuten könne. “Dass sie irgendwann automatisch durch die Straßen fahren, ist nicht ausgeschlossen”, so der Blick in die Zukunft.

Sollte dies irgendwann der Fall sein, könnte es durchaus passieren, dass sich die Gesellschaft mehr für diese Spezies interessiert. “Vielleicht klärt sich dann auch das ambivalente Verhältnis zu den Menschen”, so eine Expertin.

 

Text und Fotos: Christian de Vries