Out of Nordstadt
Ein Nordstädter leistet Flüchtlingshilfe auf Lesbos
Der Fotokünstler Hendrik Müller (Jg. 1968) reiste im April dieses Jahres für vier Wochen auf die griechische Insel Lesbos, um dort die Hilfsorganisation "No-Border-Kitchen" zu unterstützen.
Die freie Organisation hilft den Menschen, die außerhalb der Flüchtlingslager leben und versorgt sie mit frisch gekochten Mahlzeiten. Natürlich geht es dabei um mehr, als nur um das Zubereiten von Eintöpfen. In dieser intensiven Zeit traf er Menschen, die nicht gesehen werden wollen und besuchte Orte, die man nicht zeigen will. Aus den dort aufgenommenen Fotos entstand nach Hendrik Müllers Rückkehr die Ausstellung "Der Frieden trügt", die noch bis zum 28.07.17 in "Müllers Kabinett" (Scharnhorststraße 50) in der Dortmunder-Nordstadt zu sehen sein wird. Seine Eindrücke und Erlebnisse hat der Fotograf regelmäßig aufgeschrieben, um Freunde in der Heimat auf dem Laufenden zu halten und über die Situation auf Lesbos zu informieren.
Seine Texte "von einem Nordstädter der auszog den Flüchtlingen auf Lesbos zu helfen" dürfen wir, in einer 4-teiligen Serie, exklusiv auf echt-nordstadt.de veröffentlichen. Es handelt sich dabei nicht um die Reportage eines Journalisten, der ein Flüchtlingslager besucht, sondern um den authentischen, persönlichen Erlebnisbericht eines Nordstädters, der ohne Vorerfahrung und außerhalb der Strukturen großer Hilfsorganisationen einen Beitrag leistet. Wir bewundern seinen Mut und danken Hendrik Müller dafür, dass er uns teilhaben lässt. Lesen Sie jetzt Teil 1 der Serie.
Teil 1
Da saß ich also nun in einem A-320 mit Reiseziel Thessaloniki. Die anderen Menschen in dem Flieger waren mehrheitlich Griechen.
Mittlerweile war Düsseldorf unter der Wolkendecke verschwunden und ich schwebte vier ungewissen Wochen auf Lesbos entgegen. Danach würde ich wissen, ob es eine gute Idee war, sich der ‚No Border Kitchen' angeschlossen zu haben. Ich hatte schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht, mich mit den Themen Flucht und Vertreibung fotografisch zu befassen.
Die Insel war durch die Medien in unserer Wahrnehmung zum Brennpunkt menschlicher Dramen geworden, so dass ich mich fragte, ob es wohl möglich wäre, die Gleichzeitigkeit von beschaulicher Ferieninsel und Flüchingsdrama einzufangen.
Der letztendliche Anstoß kam von meiner Freundin Yetta, die einen Vortrag über ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe auf Lesbos hielt. Durch den Kontakt zu ihr habe ich Zugang zu den sozialen Strukturen auf der Insel gefunden.
Sie gab mir den Hinweis, mich bei ‚Respekt für Griechenland' um einen Schlafplatz in einem Appartement auf der Insel zu bewerben. Man bietet dort die Möglichkeit, als Volontär für verschiedene Projekte zu arbeiten.
Ich hatte mich mit Yetta darüber verständigt, dass ich in ihrer Abwesenheit die Küche der ‚No Border Kitchen' organisieren würde. Sie selbst hatte sich für den Zeitraum meines Aufenthalts für einen Einsatz auf der ‚Juwenta' beworben, einem von ‚Jugend Rettet' gecharterten Fischkutter, der vor den Hoheitsgewässern Lybiens Menschen aus Seenot rettet. Sie würde einen Tag nach meiner Ankunft die Insel in Richtung Malta verlassen.
Abgesehen von diesen Eckdaten hatte ich erst mal keine Ahnung von dem, was mich auf Lesbos erwarten würde.
Inzwischen setzte der Flieger zur Landung in Thessaloniki an. Dort würde ich in ein paar Stunden einen Anschluss nach Lesbos haben. Schon bevor das erste Rad der Maschine das Rollfeld berührte, begannen die Leute frenetisch zu applaudieren. Vielleicht war es ja die erste erfolgreiche Landung im Leben unseres Piloten…
Der Flughafen Thessaloniki sah ein bisschen aus, als hätte jemand das Borussia-Stadion zu einem Terminal umgebaut. etwas kleiner als der Dortmunder Flughafen strahlte er den Charme eines ehemaligen Militärflughafens aus. Entlang der Landebahn standen betonierten Unterstände für Düsenjets. Zurzeit waren sie leer.
DHC 8 Flug fertig
Bis zu meinem Anschlussflug hatte ich ein paar Stunden Aufenthalt Die verbrachte ich in der anheimelnden Atmosphäre der Flughafenkantine in unmittelbarer Nähe einer Steckdose mit meinem Laptop, immer ein Auge auf den Bildschirm mit den Abflugzeiten.
Als mich eine SMS der Olympic-Air erreichte, dass ich jetzt bald einchecken, könnte, war mein Flug noch nicht gelistet. Sicherheitshalber schleuste ich mich aber schon mal durch den Sicherheits-Check und nahm am Abflugterminal Platz. Der Flug wurde dort bereits auf dem Bildschirm angezeigt - allerdings ohne Abflugzeit.
Als Mitarbeiter der Olympic am Schalter Stellung bezogen, machte sich ein alter Mann daran, die Kollegen daran zu erinnern, dass er für seinen Flug nach Lesbos jetzt doch einchecken müsse. Auch als die Mitarbeiterin ihm erklärte, dass die Maschine aktuell verspätet am Flughafen eintreffen würde und man daher noch eine Weile warten müsse, hörte er nicht auf mit seinem Lamento.
Neben mir saß die Mitreisende des Mannes - seine Tochter. Das Verhalten ihres Vaters war ihr peinlich. Sie erzählte mir, dass ihm in solchen Situationen seine Demenz sehr zu schaffen mache - und seinem Umfeld gleich mit. Sie wäre unendlich froh, wenn sie endlich in ihrem Ferienhaus ankommen würden, da dann auch die Unruhe des Mannes verschwinden würde.
Wir kamen ins Gespräch und tauschten uns darüber aus, warum wir auf die Insel fliegen. Als sie von meinem bevorstehenden Engagement hörte, erzählte sie mir von einer Nacht im Jahr 2015, , als der Garten ihres Ferienhauses plötzlich voller durchnässter Menschen war . Sie hatten damals versucht, mit allem was vorrätig war, den Leuten zu helfen; denn externe Hilfe war damals nicht verfügbar. Die Flüchtlingswelle hatte begonnen und überall an den Stränden der Nord- und Ostküste von Lesbos landeten Menschen mit Schlauchbooten und anderen, kaum seetüchtigen Fahrzeugen. Es sollten nicht ihre letzten nächtlichen Gäste gewesen sein und die Not der Menschen hatte sie sehr berührt.
Ihr Sohn, der damals mit auf der Insel war sammelt heute Kleidung in Deutschland, um in regelmäßigen Abständen einen Container mit Hilfsgütern auf die Insel zu schicken.
Inzwischen war unsere Maschine gelandet. Sie stand in Sichtweite des Terminals und wurde gerade entladen und für den Anschlussflug fertig gemacht. Es hatten sich ein paar mehr Menschen um den Vater meiner Gesprächspartnerin geschart und redeten auf die Flughafenmitarbeiterin ein, wie eilig sie es doch hätten und dass es jetzt doch bald los gehen müsse.
Ich bewunderte im Stillen die geradezu stoische Gelassenheit, mit der diese Frau den Leuten immer und immer wieder erklärte, dass man erst einchecken könne, wenn die Maschine komplett vorbereitet sei, dass man heute aber auf jeden Fall, wenn auch mit Verspätung, nach Lesbos fliegen würde.
Als wir schließlich eincheckten, wurde mir bewusst, wie klein die Maschine war - auf beiden Seiten des Gangs waren je zwei mit verschossenem Leder bezogene Sitzreihen angeordnet und boten insgesamt 40 Menschen Platz.
Man hatte für diesen Flug nicht zufällig auffällig kleine Mitarbeiterinnen ausgewählt. Sie konnten in der Maschine aufrecht gehen, während ich selbst mir auf meinem Weg zum Sitz wie der Glöckner von Notre Dame vorkam.
Ich hatte einen Fensterplatz direkt am Flügel bzw. neben einem der Motoren. Ich mag Propellerflugzeuge und erfuhr aus dem Bordmagazin dass es sich um eine DHC-8 von Bombardier handelte.
Wie ich kurze Zeit später merken sollte, machte dieses aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammende Flugzeug keinerlei Geheimnis aus seiner Arbeit.
Die beiden Turboprop-Triebwerke machten einen derartigen Lärm dass ich mich nicht nur wegen der Sprachbarriere mit meiner Sitznachbarin nicht hätte unterhalten können - es sei denn, durch Anschreien oder Zuschieben kleiner Notizzettel.
Umso bewundernswerter waren die Stewardessen, die sich beim Austeilen von Snacks und Getränken bei der Kommunikation deutlicher Gesten und Gesichtsmimik bedienten.
Während ich noch ihre lautmalerischen Angebote bestaunte, begann der Flug sehr unruhig zu werden. Wir waren in ein Gewitter geraten und die Maschine schüttelte sich, als wollte sie uns alle los werden. So wie die Motoren jetzt heulten, hatte der Pilot (?) hörbar mit der Wetterlage zu kämpfen. Zweimal sackte die Maschine nach unten, so dass es mich aus dem Sitz hob. Ich hatte keine Ahnung, wie unter diesen Umständen die Stewardessen ihren Saftwagen unter Kontrolle hielten- sie blieben jedenfalls auffällig gelassen und verteilten zur Sicherheit nur noch halb gefüllte Becher.
Meine Nachbarin hatte kein Interesse an einem Getränk. Während draußen die Blitze zuckten, starrte sie in ihrem Flugmagazin verbissen dieselbe Seite an. Der Regen fiel jetzt so dicht, dass man das Triebwerk am Flügel nicht mehr sehen konnte.
Als endlich der Landeanflug auf Lesbos eingeleitet wurde, zwangen starke Böen das Flugzeug zu deutlichen Ausgleichbewegungen. Mit einem rüden Hopser setzte der Flieger endlich auf der Landebahn von Lesbos auf.
Komisch - dieses Mal wollte niemand klatschen, dabei hätte es die Leistung des Piloten wirklich gerechtfertigt. Als die Motoren erstarben, verließen alle wortlos die Maschine. Die Stewardessen verabschiedeten uns mit einem Gesichtsausdruck, als sei es ein völlig normaler Flug gewesen.
Ich war froh, als mein Koffer mich wieder gefunden hatte und wir zusammen aus dem kleinen Terminal auf die Straße traten.
Yetta hatte geduldig auf mich gewartet und wir fuhren zur Wohnung.
Unser Appartement wirkte so, als wenn es irgendwann in den siebziger Jahren eingeschlafen und vergessen worden sei. Es bot Platz für bis zu zehn Personen. Allerdings war niemand dort, als wir eintrafen. Nach und nach trafen die Bewohner von der Tätigkeit in den verschiedenen Projekten ein. Eine bunt gewürfelte Truppe mit einem deutlichen Überhang von Menschen aus dem Ruhrgebiet.
Wir aßen und tranken miteinander und jeder erzählte etwas von seinem Tag - diese Masse an bunten Informationen konnte ich nach dem Flug erst mal nicht verarbeiten - vielleicht ging das besser nach einer Mütze Schlaf…
Es war warm auf Lesbos - und hell - und sie hatten dort wirklich laute Motorräder, die alle unter meinem Fenster vorbei fuhren. Von was hatte ich eigentlich diesen Schädel? So viel Ouzo war das doch gestern Abend gar nicht…
Als ich in die Küche kam, war dort schon Marina zugange. Der Kaffee kochte bereits und sie hatte beim Bäcker in der Stadt Brötchen und Olivenbrot besorgt. Sie nannte es ‚ihren Beitrag zum WG-Leben'. Besonders die Olivenbrote waren ein toller Beitrag - die Teile hatten das Format eines platt gefahrenen Brötchens aus dunklem Teig mit reichlich Olivenstückchen drin - sie sollten für die kommenden Wochen fester Bestandteil meiner Einkaufsliste werden.
Kochen auf Gas
Mein erster Tag auf der Insel war sehr verwirrend - Marina kurvte mit dem Wagen durch die chaotisch vollgestopften Einbahnstraßen Mytilinis und bewies überirdisches Können auf dem überfüllten Parkplatz vorm Supermarkt. Mit verschiedenen Zwischenstopps bei Gemüsehändlern und (?) Squats (1) fuhren wir zur Küche hinaus.
Unsere Route führte uns an Moria vorbei - das Hauptlager für Flüchtlinge. Etwa 10 Kilometer außerhalb von Mytilini und an einer Nebenstraße gelegen.
Graffiti im Squat
Wenn man sich dem Lager näherte, wurde es eng auf der Straße. Auf beiden Seiten parkten die Autos der in dem Lager Beschäftigten und ein Polizeibus. Es standen reichlich mit schusssicheren Westen bekleidete Polizisten aber noch viel zahlreicher Flüchtlinge zwischen den parkenden Wagen und vor dem Eingang zum Lager. Sie warteten auf den Bus oder eine andere Mitfahrgelegenheit.
In der schnellen Vorbeifahrt sah ich nur Stacheldraht und eine Vielzahl grauer Wohncontainer. Was es mit der Unterbringung der Flüchtlinge auf Lesbos auf sich haben sollte, sollte ich später erfahren.
Essen fuer 200 Menschen kochen
Nach einer Weile kamen wir zur Küche. Das Gebäude hatte früher eine andere Funktion und stand lange Zeit leer. Sein Besitzer war froh, dass er in der aktuellen Immobilienkrise so anspruchslose Mieter gefunden hatte. Das Gebäude genügte niedrigsten Standards. Wir hatten dort fließendes Leitungswasser und Abwasseranschluss. Strom und Heizung gab es nicht. Es hatte zwei Räume - einer wird als Lager für die Lebensmittel und einer als Küche genutzt. Wegen der fehlenden Kühlung, aber auch aus finanziellen Gründen kochte ‚No Border' vegan.
Marina würde sich in den zehn Tagen bis zu ihrer Abreise um meine Einarbeitung kümmern. Ich musste wissen, wo unsere Händler waren, wer wie arbeitete, auf welchen Wegen wir uns bewegten und wie man sich auf der Insel in verschiedenen Situationen verhielt.
Salat-Abfuellung
Der Betrieb erinnerte sehr an die Küche in einem Zeltlager. Die Köche sind Menschen aus der Community der Flüchtlinge. So sollte sichergestellt werden, dass ihr Geschmack in etwa den der Zielgruppe traf. Wir produzierten etwa 200 Mahlzeiten pro Tag auf niedrigstem technischen Niveau. Es handelte sich immer um eine Art Eintopf, der in großen Kaffeebechern aus Pappe abgefüllt, mit Deckeln versehen und von uns zum ‚Kunden' gefahren wurde. Wenn der Gemüsehändler uns gern hatte, gab es auch noch Salat dazu. Zusammen mit Obst und Wasser in Flaschen stellte es die Basisversorgung für etwa 150 Flüchtlinge dar, die teilweise keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Kochmöglichkeit hatten.
Gewuerze in der Kueche
Für Menschen, die selber kochten, stellten wir zweimal die Woche Kochkisten mit frischem Gemüse zusammen.
Insgesamt versorgte die Küche so 300 Menschen mit Nahrung.
Das Ganze lief wegen der unterschiedlichen Essgewohnheiten nach einem auf den ersten Blick komplexen System ab. Listen definierten, wer was in welcher Menge bekam und wann es auszuliefern war.
Obwohl ich von früheren Ferienlagern her Erfahrung mit solchen Arbeitsbedingungen hatte, bekam ich am ersten Tag keinen Überblick. Ich konnte Marina nur für ihre Routine bewundern.
So beschränkte ich mich an meinem ersten Tag mit Staunen und niederen Zuarbeiten - Kartoffeln schälen konnte ich ja immerhin.
Heute wurde gleich zweimal gekocht. Jetta feierte abends ihren Abschied, um nach Malta aufzubrechen.
Tschapati-Teig
Es kamen so viele Leute zur Küche, wie eben in die verfügbaren Autos passten. Die meisten dieser mir fremden Menschen würden mir in den kommenden Wochen ans Herz wachsen. Im Moment hatte ich aber erst mal keine Ahnung, wo sie überall hin gehörten.
Erst spät in der Nacht fuhren ein paar Tapfere, die nichts getrunken hatten, die Meute wieder zurück in die Stadt - ich gehörte dazu und hatte meine erste Gelegenheit, mich mit den Straßenverhältnissen auf der Insel anzufreunden.
Die Namen in diesem Text sind geändert.
(1) ‚Squat' - ein besetztes Haus/Ort
Die Links zu den hier genannten Organisationen:
Respekt für Griechenland: http://respekt-für-griechenland.de
No Border Kitchen: https://noborderkitchenlesvos.noblogs.org
Jugend Rettet: https://jugendrettet.org/de/
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