Out of Nordstadt
Ein Nordstädter leistet Flüchtlingshilfe auf Lesbos
Teil III - von Hendrik Müller
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Neben meinen Aktivitäten in der Noborder Kitchen hatte ich noch einen anderen Grund, warum ich nach Lesbos gekommen war - ich wollte Orte besuchen, die mit den Fluchtbewegungen eng verbunden sind, um zu versuchen, ob ich fotografisch daran arbeiten kann.
Um dort hin zu kommen, würde ich einen fahrbaren Untersatz brauchen, denn das Auto der Küche war natürlich fast rund um die Uhr verplant. So entschloss ich mich, es der Inselbevölkerung gleich zu tun und mir ein Moped zu leihen. Gefühlt fast jeder auf der Insel bewegt sich auf solchen Fahrzeugen durchs Land. Das macht schon angesichts der engen Straßen viel Sinn - zudem läuft fast überall auf der Insel der Verkehr mit 60 Stundenkilometern. Ein Auto macht hier wirklich nur Sinn, wenn man Lasten oder viele Menschen transportieren möchte.
Bei einem Verleih für Motorräder fand ich ein sympathisches Gefährt für einen günstigen Kurs. Das Moped hatte eine Automatikschaltung, ein völlig ausgebleichtes Nummernschild und auf seinem Gepäckträger ließ sich leicht eine Gemüsekiste befestigen. So war es das ideale Vehikel, um mich als Bewohner der Insel erscheinen zu lassen. Na. ja, wenigstens auf dem ersten Blick, denn die wenigsten Griechen sind eins neunzig groß und kauern sich beim Fahren auf ihren Mopeds zusammen…
Gleich zu Beginn meines freien Tages sollte sich das Vehikel schon nützlich machen - es fehlten wichtige Dinge in der Küche, die um ein Haar die Zubereitung des Essens gefährdet hätten: Dem Küchenteam war der Tabak ausgegangen! So kurvte ich auf meinem Weg ins Hinterland noch schnell bei der Küche vorbei und lieferte das dringend benötigte Zubehör - es gibt kaum einen Refugee auf der Insel, der nicht raucht. Nicht, dass es mich stören würde, aber nachdem ich Nichtraucher daheim von immer mehr Nichtrauchern umzingelt bin, ist es etwas irritierend, auf Gruppen zu treffen, die geschlossen rauchen. Das Erstaunen der Refugees über die Quote an Nichtrauchern unter den Volontären könnte umgekehrt aber auch nicht größer sein.
Ich kam gerade rechtzeitig bei der Küche vorbei, um der Geburt unserer Küchenkatze beizuwohnen. Sie hatte in den letzten zwei Wochen zunehmend an Umfang gewonnen und überall im Haus nach einem Platz für ein Nest gesucht. Ihre drei Kinder sollten ohne Frage das Highlight des Tages darstellen. Jeder in der Küche hatte etwas von seinem Geld abgezweigt, um diesem Tier Futter zu besorgen - es revanchierte sich dafür mit gewissenhafter Mäusejagd.
Mein Moped sollte sich als echter Renner entpuppen - mit dem Ding war es schon schwierig, sich an die Richtgeschwindikeit zu halten.
Im Zentrum ist die Insel gebirgig und entsprechend sind die Straßen. Abseits der Hauptwege winden sie sich in engen Serpentinen die Berge hoch. Der Fahrtwind weht einem angenehm kühl ins Gesicht und man muss sich schon sehr bemühen, den Blick auf der Straße zu halten, so schön ist die Landschaft. Lesbos ist wegen ihrer geologischen Formationen auf der Liste des Unesco Weltkultur Erbes. Imposant türmen sich die Berge erodierten Gesteins in der Landschaft und zwingen die Straßen in steile, enge Serpentinen, von Split und Gesteinsbröckchen garniert, meist ohne Leitplanken zum Tal hin. Der Rand der Straße ist oft eine 20 Zentimeter hohe Stufe aus Asphalt und lädt zum gepflegten Stürzen ein. Die Insel ist sicher ein Paradies für Motorradfahrer, die zahlreichen Gedenk-Stelen am Straßenrand erzählen aber auch eine Geschichte von reichlichen Verkehrsunfällen.
In den Bergen traf ich auf eine beschaulich wirkende Klosteranlage. Die Mehrheit der Inselbewohner ist griechisch-orthodox. Der Stil der Kirchen, der zahlreichen Kapellen und auch dieser Klosteranlage haben die Formensprache dieser Glaubensrichtung. Die Rolle der Kirche in der Flüchtlingsthematik ist nicht unproblematisch. So mancher Pope versteigt sich in seinen Predigten zu der Aussage, dass der Flüchtlingsstrom eine Invasion sei, der das Ziel habe, den orthodoxen Glauben auf der Insel zu verdrängen. Man müsse sich diesen ‚Invasoren' entgegen stellen, besser, die betreten die Insel erst gar nicht… Mit dieser Meinung sind sie nicht allein - ihre Predigten fallen bei den rechts-national eingestellten Bewohnern von Lesbos auf fruchtbaren Boden. Die aktuelle Parteileitung der ‚Goldenen Morgenröte' stammt übrigens auch von der Insel.
Nun bin ich nicht durch die Landschaft gekurvt, um Klöster zu besuchen. Vielmehr sollte mich mein Weg zur Ortschaft Mithymna führen. Sie liegt an der nördlichen Spitze der Insel und ist nur dreieinhalb Kilometer von der türkischen Küste entfernt.
Die Fischer des kleinen Ortes sind schon seit gut zehn Jahren mit Flüchtlingen auf See konfrontiert. Oft fahren sie mit ihren kleinen Booten zum Fischen hinaus, um kurz danach mit Schiffbrüchigen an Bord zurück zu kommen. Sie standen in der ersten Reihe, als vor zwei Jahren aus ein paar Flüchtlingen pro Tag plötzlich 200 pro Stunde wurden. Damals gingen Bilder von griechischen Omas mit geretteten Kindern auf dem Arm um die Welt. Fast die gesamte Bevölkerung des Ortes half, so gut sie konnte. Viele dort sind Fischer oder haben welche in der Verwandtschaft und wissen, was zu tun ist, wenn Menschen in Seenot sind. Sie organisierten Bekleidung und Essen, hielten Wachen am Strand, wuschen die von den Flüchtlingen am Strand zurück gelassene Bekleidung, damit die nächsten Ankommenden auch trockene Bekleidung haben würden.
Am Strand blieben auch bergeweise Schwimmwesten zurück - sie wurden von den Flüchtenden bei Betreten des Landes nicht mehr benötigt. Sei türmten sich so hoch, dass eine eigentlich schon geschlossene Müllkippe in der Nähe des Ortes wieder geöffnet wurde, um die Mengen vom Stand weg zu bekommen. Eine weitere Verwendung als Schwimmwesten schließt sich für diese Überbleibsel aus. Es handelt sich in der Mehrheit um in der Türkei gefertigte Imitate, die meistens nicht die Anforderungen für Schwimmwesten erfüllen. Ihre Schwimmkörper sind mit billigen Autositz-Polstern gefüllt, die sich bei Kontakt mit Wasser vollsaugen und die Person, die sie trägt, unweigerlich unter Wasser ziehen. Die meisten Flüchtlinge können nicht schwimmen und haben kurz vor Ende ihrer Flucht meist kein Geld, sich eine ‚echte' Schwimmweste zu kaufen. So wählen sie in ihrer Unkenntnis die deutlich billigeren Imitate, die bei Schiffbruch den sicheren Tod durch Ertrinken bedeuten.
Die Müllhalde liegt etwas versteckt hinter einem Berg. Als ich ankam, war dort eine Gruppe von Freiwilligen einer anderen Hilfsorganisation. Man organisiert regelmäßig Ausflüge an diesen Ort, weil man sich dort am besten zu Bewusstsein führen kann, welche Mengen an Menschen gerettet wurden. Die Berge sind inzwischen auf etwa ein Drittel geschrumpft. Sie werden Stück für Stück in der Müllverbrennung der Insel beseitigt. Es gibt aber auch Organisationen wie ‚Lighthouse Relief' und ‚Mosaik', die Schwimmwesten zu Taschen umarbeiten, um über deren Verkauf die Flüchtlingsarbeit zu finanzieren.
Die schrille Buntheit des Plastiks in der Hitze der Landschaft und die geradezu gespenstische Stille. Hier liegen auch die Trümmer gestrandeter Boote. Dieser Ort hat viel zu erzählen, allerdings nicht wirklich viel Gutes. Ich machte in der brütenden Hitze meine Aufnahmen und fuhr die Küste entlang wieder nach Mytilini zurück.
Ich ließ den Tag im Café Pi ausklingen - hier gibt es schnelles Internet und eine wirklich gute Stimmung. Viele Mitarbeiter der verschiedenen Hilfsorganisationen kommen hier zusammen und tauschen sich über ihre Arbeit aus.
Wie ich hörte, waren heute Polizisten zusammen mit Elektrikern auf dem Gelände des großen Squats gewesen. Man hatte dort von der Überlandleitung Strom für den Squat abgezapft. Die Installationen wurden in Augenschein genommen. Es wurde darüber spekuliert, ob es darum ging, Anklagepunkte für eine bevorstehende Räumung zu sammeln.
Die Website von Lighthouse Relief:
http://www.lighthouserelief.org
Die Website von Mosaik:
http://www.lesvosmosaik.org/en/